„Du glaubst es kaum, in Duisburg wird gerade ein Haus besetzt! Das sind wieder die jungen Leute von Du it yourself (Twitter), die von der Nackttanzdemo. Und sie haben ein eigenes Blog dazu eingerichtet. Sie sind jetzt in einer leerstehenden Schule in Laar und wollen eine Woche bleiben. Ein Veranstaltungsprogramm haben sie auch schon erstellt: Aktionswoche ‚Leerstand beleben‘.“
Ich las vor:
„Tatsächlich bietet es sich an die Räume allen zur Verfügung zu stellen, die eine Idee verwirklichen wollen. Sei es vom gemeinsamen Basteln, Strickkurs, …“
Ich wurde unterbrochen:
„Strickkurs?! – Da müssen wir hin!“
So hat also die Twitterrevolution, die im Maghreb ihren Ursprung nahm, nun auch uns erfasst.
Ein selbstverwaltetes Kulturzentrum in Laar wäre eine tolle Sache. Der einzige Nachteil: der Stadtteil liegt nördlich der Ruhr. Wenn die Stadt Duisburg demnächst auf die Idee kommt, in einem neuen Leuchtturm-Projekt die Brücken zu sanieren, wäre Laar anschließend auf Dauer nur noch per Fähre erreichbar. Aber vielleicht haben wir ja Glück und für die Brücken ist nicht die Stadt, sondern das Land oder der Bund zuständig? Na ja, eine Woche lang werden sie wohl noch halten.
„Soll ich mein Tatü-Kissen mitnehmen?“ – „Lieber nicht, Polizisten verstehen keinen Spaß“ – „Ach Du Dummer, das Kissen ist doch nicht für die Polizisten! Unter den jungen Leuten ist doch vielleicht einer, der schon mal schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat, und wenn die dann kommen, dann braucht er ein Tatü-Kissen.“
„Gut, wir nehmen ein Tatü-Kissen mit, Strickzeug und Thermoskannen mit ganz frischem, heißem, köstlichem Kaffee.“
Wir machten uns also auf die lange Reise in den Duisburger Norden, die Straßenbahn schaffte es so gerade im Schritttempo über die Brücke, und schließlich kamen wir in Laar an.
„Da vorne muss es sein, da parken gleich drei Polizeiwagen.“ Kamen wir zu spät? War die besetzte Schule vielleicht schon geräumt? Im Dunkel der Toreinfahrt stand eine Gestalt. Eine Taschenlampe blitzte auf. Die Gestalt bewegte sich auf uns zu und sprach uns an. „Gehören Sie auch zu der Gesellschaft?“ sagte der Polizeibeamte in höflichem Ton. „Wir wollen den jungen Leuten ein Schlücksken heißen Kaffee bringen.“ – „Ja, dann benutzen Sie bitte nicht diesen Eingang hier vorne, sondern gehen dort gerade durch und dann links“, sagte er und leuchtete uns zuvorkommend den Weg mit seiner Taschenlampe.
Wir waren am Ziel und wurden von den jungen Hausbesetzern sofort willkommen geheißen. Sie hatten in der kurzen Zeit beeindruckendes geleistet. Die Fußböden waren gesäubert und blitz-blank nass gewischt (mit richtig gutem Putzmittel, wie die Fachfrau feststellte). Für Licht war gesorgt, es gab bequeme Sofas, und die Vorbereitungen für eine Party waren in vollem Gange. Diesen freundlichen jungen Leuten ist ohne weiteres zuzutrauen, dass sie solch ein Projekt auch auf Dauer mit Bravour managen, – wenn die Stadt Duisburg sie nur lässt.
Die Räumlichkeiten in der Schule wären ideal. Sie wurde vor drei, vier Jahren von der Stadt aufwändig saniert und bald danach geschlossen (so macht man das in Duisburg) und stand seither leer. Schöne, große Klassenräume, die tagsüber angenehm hell sein dürften, auf drei Etagen. Weitgehend intakte sanitäre Anlagen, Strom, Wasser, Heizung, was will man mehr?
Platz wäre genug. Wir gerieten in’s Schwärmen. Vielleicht könnte man in einem der Räume sogar ein Atelier einrichten für Outsiderkünstler, die mit den ganzen Schicki-Micki-Gentrifizierungs-Heinis nichts am Hut haben?
Das ginge schon, – wenn es denn nicht die Stadt Duisburg gäbe. Seit der Loveparade schiebt man in der Stadtverwaltung Dienst nach Vorschrift. Das bedeutet insbesondere für das Ordnungsamt: bei nichtkommerziellen Projekten muss jede Vorschrift zu hundert Prozent eingehalten werden und der Ermessensspielraum wird zu null Prozent ausgeschöpft. Schließlich muss man doch die Duisburger Bürger dafür bestrafen, dass sie immer noch keine Ruhe geben.
Mit dem Erscheinen der Vertreter der Stadt änderte sich das Bild schlagartig. Die höflichen Polizisten verschwanden, stattdessen marschierte eine Hundertschaft auf und besetzte als erstes die oberen Stockwerke einschließlich der Toiletten. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie intakt (vgl. die befremdliche Presseerklärung der Duisburger Polizei).
Unsere Eltern haben uns noch erzählt, wenn jemand auf der Straße eine Sturmhaube aufhat und es ist kein Motorradfahrer im Winter, dann ist das ein Gangster, der nicht erkannt werden will. Heute gilt das nicht mehr. Polizisten setzen sich Sturmhauben auf, wenn sie befürchten einen Befehl zu bekommen, für dessen Ausführung sie sich später schämen müssten, – so reimte ich mir das jedenfalls zusammen. Auffällig viele in besagter Hundertschaft wollten ihr Gesicht jedenfalls nicht zeigen.
Der Gegensatz zwischen den friedlichen, freundlichen jungen Leuten und der martialischen Staatsmacht könnte größer nicht sein. Jetzt waren wir froh, dass wir unser Tatü-Kissen dabei hatten. Es kam dann aber doch nicht zum Einsatz, denn die Maskierten hatten noch keinen Befehl, ruppig zu sein. Ohne Befehl standen sie orientierungslos in der Gegend herum, und die Borg ließen uns passieren ohne Versuch uns zu assimilieren.
Wir haben uns bei den Besetzern wohl gefühlt. Das nächste mal sind wir wieder dabei.
Danke für eure Unterstützung und den tollen Bericht.
„Es kam dann aber doch nicht zum Einsatz, denn die Maskierten hatten noch keinen Befehl, ruppig zu sein. Ohne Befehl standen sie orientierungslos in der Gegend herum und die Borg ließen uns passieren ohne Versuch uns zu assimilieren.“ – Ich habe sehr gelacht.
sehr schöner Bericht, aber was genau hat es denn mit dem Tatü-Kissen auf sich?