Kapuzenwesen (1)

Foto (c) Hafenstaedter, Juli 2010
Kapuzenwesen, Eisenbahnunterführung Koloniestraße, Juli 2010

Bei diesem Kunstwerk fällt zunächst einmal die ungewöhnliche Technik auf: sauberes Tuch auf abgasverschmutzter Kachel. Aufgenommen wurde das Foto im Juli 2010. Erstaunlich ist, dass das Bild trotz der fragilen Machart erhalten blieb und auch heute noch, Ende Januar 2012, im Koloniestraßen-Tunnel am Hauptbahnhof bewundert werden kann.

Dem Künstler gelingt es, beim Rezipienten Reflektionen über das Für und Wider des Einsatzes von Gewalt in politischen Auseinandersetzungen auszulösen, und er bedient sich dabei überaus gekonnt der Mittel der Abstraktion und der Sublimation. Wie in jedem echten Kunstwerk findet der aufmerksame Betrachter auch in diesem Werk Witz und Mehrdeutigkeit.

http://de.wikisource.org/wiki/Der_Struwwelpeter/Die_gar_traurige_Geschichte_mit_dem_Feuerzeug
Doch Minz und Maunz, die Katzen, Erheben ihre Tatzen. Sie drohen mit den Pfoten: »Die Mutter hat’s verboten! Miau! Mio! Miau! Mio! Wirf’s weg! Sonst brennst du lichterloh!«

Wie anders ist  sonst die unübersehbare Anspielung auf Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter zu deuten? In dem Kapitel Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug hantiert Paulinchen ganz ähnlich wie das Kapuzenwesen mit brennenden Zündhölzern und ignoriert die Warnungen der obrigkeitstreuen Katzen Minz und Maunz. – Ob unsere Geschichte am Ende gut oder böse ausgeht, lässt der Künstler ganz im Gegensatz zu Hoffmann offen. Über die künstlerische und pädagogische Qualität des Struwwelpeter lässt sich also trefflich streiten, über die des Wandbildes nicht.

Unverkennbare Bezugspunkte sind mittelalterliche Mariendarstellungen, die russische Matrjoschka-Tradition, sowie der mitteleuropäische Rumpelstilzchen-Mythos, aber auch aktuelle Kontroversen über abendländische Bekleidungsvorschriften. Die Arbeit reiht sich somit ein in die nicht zuletzt von Johann Wolfgang von Goethe begründete, ehrwürdige Tradition des künstlerischen Brückenschlags zwischen West und Ost, zwischen Abend- und Morgenland.

Die Stadt Duisburg muss das übersehen haben. Fast der ganze Koloniestraßen-Tunnel wurde kürzlich abgerissen, nur der Abschnitt mit dem Wandbild blieb unversehrt. Hätte sie den kulturellen Wert des Bildes erkannt, wäre es sicher umgekehrt.

Das Duisburger Trinkwasserproblem

Aufmerksame Leserinnen bemerkten die Andeutung in meinem vorigen Beitrag, einige Gute Geister hätten den Verstand verloren.

Das betrifft in Duisburg leider nicht nur einige, sondern viele. Fast jede Absurdität, die die deutsche Linke hervorbringt, präsentiert sich in Duisburg noch absurder als man es in den kühnsten Albträumen für möglich hält. Duisburg bewirbt sich mit Erfolg um den Titel Hauptstadt des linken Wahnsinns, selbst die Konkurrenz aus Hamburg hat da keine Chance. Zwischen esoterischem Antiimperialismus und adornitischem McCarthyismus bleibt kein Raum für einen einzigen vernünftigen Gedanken. Raum bleibt stattdessen für bizarre Phänomene wie den Irren von Neudorf , die Schall-und-Rauch Bandbreite und www.kommunisten-amrandedesnervernzusammenbruchs.de.

Mehrere unabhängige Beobachter konstatierten in Bezug auf den Duisburger Sonderweg der deutschen Linken: „Es muss am Trinkwasser liegen!“

(Für diese Diagnose spricht, dass das Duisburg-Syndrom längst nicht mehr auf die politische Linke beschränkt ist. Es würde mich nicht wundern, wenn auf Veranstaltungen der Duisburger Christdemokraten alle Teilnehmer zu Anfang erst einmal ein Glas unabgekochtes Leitungswasser auf Ex trinken müssten.)

All das soll aber auf diesem Blog kein Thema sein. Es sei denn, die Grenzen zwischen links und rechts werden überschritten – und das trifft leider auf beide Fraktionen immer wieder zu.

Grafitti, Neudorf, Januar 2012, Foto (c) hafenstaedter
"Pacman, friss den ganzen Unsinn weg!" Neudorf, Januar 2012

Das Elend der Duisburger Linken schlägt sich auch auf den Häuserwänden nieder. Diese Garagenwand sagt uns, in Duisburg musst Du Dich als Linker entscheiden: Bist Du für einen Kreuzzug für Israel oder bist Du für einen Kreuzzug gegen Israel?

Aufnahme in diesem Blog findet das Foto wegen des kleinen, grünen Sprühschablonen-Pacmans, der dabei zu sein scheint, den ganzen Unsinn wegzufressen. Da hat er sich viel vorgenommen.

Gute Geister

In meinem letzten Blogbeitrag behauptete ich, diese Stadt sei von fast allen guten Geistern verlassen. Damit wollte ich auch andeuten, dass zwar viele, aber noch nicht alle guten Geister von dieser Stadt ins Exil getrieben wurden oder ihren Verstand verloren haben.

Es gibt sie noch, die Andere Hafenstadt; sie existiert im Untergrund, dort, wo die Herrschaft des städtischen Establishments und anderer krimineller Milieus nicht hinreicht. Menschen, für die Herkunft, Macht, Karriere, Konkurrenz, Reichtum und Erfolg nicht zählen und die solidarisch vorwegnehmen, was unmöglich erscheint.

Dazu gehören auch Künstler, die sich nicht scheren um Erfolg im offiziellen Kunstbetrieb, und die sich – meist ohne Honorar und oft sogar von der Polizei gejagt – im öffentlichen Raum artikulieren. Gleich, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, kämpfen sie gegen Kommerz und Sicherheitswahn und erobern sich die Stadt zurück.

 

Foto
Die züchtige Hausfrau. (Kinderzeichnung?) Hochfeld, Siechenhausstraße, 2010

 

Im kulturellen Ödland wie Duisburg ist auch schon der kleinste Farbtupfer subversiv.

Der Schicki-Micki-Kreativrummel und die „irgendwas-mit-Medien“-Karriereheinis sind hier zum Glück noch weit weg. Ruhrort ist nicht Prenzlauer Berg, und das ist gut so.

Wie bereits vor einiger Zeit angekündigt, wird sich dieses Blog in Zukunft etwas mehr dem Bereich widmen, den man mit dem Begriff Streetart bezeichnet, – nicht nur in der Hafenstadt, sondern z.B. auch in Düsseldorf. Dort gibt es zwar ein viel stärkeres Schicki-Micki-Problem, aber zugleich auch eine jahrzehntelange Tradition mit Wandbildern von künstlerisch und politisch außergewöhnlicher Qualität. Hier ist natürlich insbesondere die Gruppe farbfieber [www.farbfieber.de] zu nennen, deren Werke ich sehr bewundere.

Die meisten der hier vorzustellenden Kunstwerke stammen aber von mir unbekannten anonymen Künstlern.

An meinen Fotos soll sich niemand bereichern, deshalb untersage ich jede kommerzielle Nutzung ohne meine schriftliche Genehmigung.

 

Gute Geister 

In meinem letzten Blogbeitrag behauptete ich, diese Stadt sei von fast allen guten Geistern verlassen. Damit wollte ich auch andeuten, dass zwar viele, aber noch nicht alle guten Geister dieser Stadt ins Exil getrieben wurden oder ihren Verstand verloren haben.

Es gibt sie noch, die Andere Hafenstadt; sie existiert im Untergrund, dort, wo der Einfluss des städtischen Establishments und anderer krimineller Milieus nicht hinreicht. Menschen, für die Herkunft, Macht, Karriere, Konkurrenz, Reichtum und Erfolg nicht zählen und die solidarisch vorwegnehmen, was unmöglich erscheint.

Dazu gehören Künstler, die sich nicht scheren um Erfolg im offiziellen Kunstbetrieb, und die sich – meist ohne Honorar und oft sogar von der Polizei gejagt – im öffentlichen Raum artikulieren. Gleich, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, kämpfen sie gegen Kommerz und Sicherheitswahn und erobern sich die Stadt zurück.

Im kulturellen Ödland wie Duisburg ist auch schon der kleinste Farbtupfer subversiv.

Der Schicki-Micki-Kreativrummel und die „irgendwas-mit-Medien“-Karriereheinis sind hier zum Glück noch weit weg. Ruhrort ist nicht Prenzlauer Berg, und das ist gut so.

Wie bereits vor einiger Zeit angekündigt, wird sich dieser Blog in Zukunft etwas mehr dem Bereich widmen, den man mit dem Begriff Streetart bezeichnet, – nicht nur in der Hafenstadt, sondern z.B. auch in Düsseldorf. Dort gibt es zwar ein viel stärkeres Schicki-Micki-Problem aber zugleich auch eine jahrzehntelange Tradition mit Wandbildern von künstlerisch und politisch außergewöhnlicher Qualität. Hier ist natürlich insbesondere die Gruppe farbfieber [farbfieber.de] zu nennen, deren Werke ich sehr bewundere.

Die meisten der hier vorzustellenden Kunstwerke stammen aber von mir unbekannten anonymen Künstlern.

An meinen Fotos soll sich niemand bereichern, deshalb untersage ich jede kommerzielle  Nutzung ohne meine schriftliche Genehmigung.Gute Geister

 

In meinem letzten Blogbeitrag behauptete ich, diese Stadt sei von fast allen guten Geistern verlassen. Damit wollte ich auch andeuten, dass zwar viele, aber noch nicht alle guten Geister dieser Stadt ins Exil getrieben wurden oder ihren Verstand verloren haben.

 

Es gibt sie noch, die Andere Hafenstadt; sie existiert im Untergrund, dort, wo der Einfluss des städtischen Establishments und anderer krimineller Milieus nicht hinreicht. Menschen, für die Herkunft, Macht, Karriere, Konkurrenz, Reichtum und Erfolg nicht zählen und die solidarisch vorwegnehmen, was unmöglich erscheint.

 

Dazu gehören Künstler, die sich nicht scheren um Erfolg im offiziellen Kunstbetrieb, und die sich – meist ohne Honorar und oft sogar von der Polizei gejagt – im öffentlichen Raum artikulieren. Gleich, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, kämpfen sie gegen Kommerz und Sicherheitswahn und erobern sich die Stadt zurück.

 

Im kulturellen Ödland wie Duisburg ist auch schon der kleinste Farbtupfer subversiv.

 

Der Schicki-Micki-Kreativrummel und die „irgendwas-mit-Medien“-Karriereheinis sind hier zum Glück noch weit weg. Ruhrort ist nicht Prenzlauer Berg, und das ist gut so.

 

Wie bereits vor einiger Zeit angekündigt, wird sich dieser Blog in Zukunft etwas mehr dem Bereich widmen, den man mit dem Begriff Streetart bezeichnet, – nicht nur in der Hafenstadt, sondern z.B. auch in Düsseldorf. Dort gibt es zwar ein viel stärkeres Schicki-Micki-Problem aber zugleich auch eine jahrzehntelange Tradition mit Wandbildern von künstlerisch und politisch außergewöhnlicher Qualität. Hier ist natürlich insbesondere die Gruppe farbfieber [farbfieber.de] zu nennen, deren Werke ich sehr bewundere.

 

Die meisten der hier vorzustellenden Kunstwerke stammen aber von mir unbekannten anonymen Künstlern.

 

An meinen Fotos soll sich niemand bereichern, deshalb untersage ich jede kommerzielle Nutzung ohne meine schriftliche Genehmigung.

 

200 Leute und ein Kissen

Am Samstag (10.12.2011) demonstrierten etwa 200 Menschen in Duisburg für ein sehr sympathisches Anliegen:

Wir fordern: überlasst uns ein Gebäude für ein unabhängiges, sozio-kulturelles Zentrum oder 5 Millionen € in kleinen, unmarkierten Scheinen für den Aufbau entsprechender kommerzieller Projekte.

Die Demonstration war eine Aktion von DU it yourself (Twitter) im Rahmen der Aktionswoche „Leerstand beleben“. Die Organisatoren werten diese Demonstration zu recht als Erfolg.

Foto: Demonstration Duisburg 10.12.2011

Von den Kollegen von Mustermensch e.V. stammt (via Facebook) dieses wunderschöne Foto des vorderen Demonstrationsteils. Deutlich sichtbar: Das Tatü-Kissen!

Und hier wieder der beliebte Werbeblock:

Keine Demonstration ohne Tatü-Kissen!
Das Tatü-Kissen schützt.
Das Tatü-Kissen wärmt.
Das Tatü-Kissen tröstet.
Für ein Tatü ganz ohne Tata.
Jeder erfahrene Demonstrant weiss:
Keine Demonstration ohne Tatü-Kissen!

Durch den Einsatz des Tatü-Kissens erzielten wir enormen Zuspruch. Der Senioren-Block vergrößerte sich spontan um mindestens 50 Prozent.

Wir haben uns wohl gefühlt. Das nächste mal sind wir wieder dabei.

 


 

P.S.: Vielen Dank an Margarete Unverzagt für die schönen Fotos!

 

Foto: Demonstration 10.12.2011.
Demonstration am 10.12.2011. Im Vordergrund: Tatü - im Hintergrund: Tata (Foto: M. Unverzagt)

 

Demonstration 10.12.2011
Demonstration am 10.12.2011. Der schwarz-rote Senioren-Block. (Foto: M. Unverzagt)

 

Was der Mensch wirklich braucht: Kaffee, Strickzeug, Tatü-Kissen

„Du glaubst es kaum, in Duisburg wird gerade ein Haus besetzt! Das sind wieder die jungen Leute von Du it yourself (Twitter), die von der Nackttanzdemo. Und sie haben ein eigenes Blog dazu eingerichtet. Sie sind jetzt in einer leerstehenden Schule in Laar und wollen eine Woche bleiben. Ein Veranstaltungsprogramm haben sie auch schon erstellt: Aktionswoche ‚Leerstand beleben‘.“

Ich las vor:

„Tatsächlich bietet es sich an die Räume allen zur Verfügung zu stellen, die eine Idee verwirklichen wollen. Sei es vom gemeinsamen Basteln, Strickkurs, …“

Ich wurde unterbrochen:

„Strickkurs?! – Da müssen wir hin!“

So hat also die Twitterrevolution, die im Maghreb ihren Ursprung nahm, nun auch uns erfasst.

Ein selbstverwaltetes Kulturzentrum in Laar wäre eine tolle Sache. Der einzige Nachteil: der Stadtteil liegt nördlich der Ruhr. Wenn die Stadt Duisburg demnächst auf die Idee kommt, in einem neuen Leuchtturm-Projekt die Brücken zu sanieren, wäre Laar anschließend auf Dauer nur noch per Fähre erreichbar. Aber vielleicht haben wir ja Glück und für die Brücken ist nicht die Stadt, sondern das Land oder der Bund zuständig? Na ja, eine Woche lang werden sie wohl noch halten.

„Soll ich mein Tatü-Kissen mitnehmen?“ – „Lieber nicht, Polizisten verstehen keinen Spaß“ – „Ach Du Dummer, das Kissen ist doch nicht für die Polizisten! Unter den jungen Leuten ist doch vielleicht einer, der schon mal schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat, und wenn die dann kommen, dann braucht er ein Tatü-Kissen.“

Abbildung: Tatü-Kissen. Tatü ganz ohne Tata.
Abbildung: Tatü-Kissen. Tatü ganz ohne Tata.

„Gut, wir nehmen ein Tatü-Kissen mit, Strickzeug und Thermoskannen mit ganz frischem, heißem, köstlichem Kaffee.“

Wir machten uns also auf die lange Reise in den Duisburger Norden, die Straßenbahn schaffte es so gerade im Schritttempo über die Brücke, und schließlich kamen wir in Laar an.

„Da vorne muss es sein, da parken gleich drei Polizeiwagen.“ Kamen wir zu spät? War die besetzte Schule vielleicht schon geräumt? Im Dunkel der Toreinfahrt stand eine Gestalt. Eine Taschenlampe blitzte auf. Die Gestalt bewegte sich auf uns zu und sprach uns an. „Gehören Sie auch zu der Gesellschaft?“ sagte der Polizeibeamte in höflichem Ton. „Wir wollen den jungen Leuten ein Schlücksken heißen Kaffee bringen.“ – „Ja, dann benutzen Sie bitte nicht diesen Eingang hier vorne, sondern gehen dort gerade durch und dann links“, sagte er und leuchtete uns zuvorkommend den Weg mit seiner Taschenlampe.

Wir waren am Ziel und wurden von den jungen Hausbesetzern sofort willkommen geheißen. Sie hatten in der kurzen Zeit beeindruckendes geleistet. Die Fußböden waren gesäubert und blitz-blank nass gewischt (mit richtig gutem Putzmittel, wie die Fachfrau feststellte). Für Licht war gesorgt, es gab bequeme Sofas, und die Vorbereitungen für eine Party waren in vollem Gange. Diesen freundlichen jungen Leuten ist ohne weiteres zuzutrauen, dass sie solch ein Projekt auch auf Dauer mit Bravour managen, – wenn die Stadt Duisburg sie nur lässt.

Die Räumlichkeiten in der Schule wären ideal. Sie wurde vor drei, vier Jahren von der Stadt aufwändig saniert und bald danach geschlossen (so macht man das in Duisburg) und stand seither leer. Schöne, große Klassenräume, die tagsüber angenehm hell sein dürften, auf drei Etagen. Weitgehend intakte sanitäre Anlagen, Strom, Wasser, Heizung, was will man mehr?

Platz wäre genug. Wir gerieten in’s Schwärmen. Vielleicht könnte man in einem der Räume sogar ein Atelier einrichten für Outsiderkünstler, die mit den ganzen Schicki-Micki-Gentrifizierungs-Heinis nichts am Hut haben?

Das ginge schon, – wenn es denn nicht die Stadt Duisburg gäbe. Seit der Loveparade schiebt man in der Stadtverwaltung Dienst nach Vorschrift. Das bedeutet insbesondere für das Ordnungsamt: bei nichtkommerziellen Projekten muss jede Vorschrift zu hundert Prozent eingehalten werden und der Ermessensspielraum wird zu null Prozent ausgeschöpft. Schließlich muss man doch die Duisburger Bürger dafür bestrafen, dass sie immer noch keine Ruhe geben.

Mit dem Erscheinen der Vertreter der Stadt änderte sich das Bild schlagartig. Die höflichen Polizisten verschwanden, stattdessen marschierte eine Hundertschaft auf und besetzte als erstes die oberen Stockwerke einschließlich der Toiletten. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie intakt (vgl. die befremdliche Presseerklärung der Duisburger Polizei).

Unsere Eltern haben uns noch erzählt, wenn jemand auf der Straße eine Sturmhaube aufhat und es ist kein Motorradfahrer im Winter, dann ist das ein Gangster, der nicht erkannt werden will. Heute gilt das nicht mehr. Polizisten setzen sich Sturmhauben auf, wenn sie befürchten einen Befehl zu bekommen, für dessen Ausführung sie sich später schämen müssten, – so reimte ich mir das jedenfalls zusammen. Auffällig viele in besagter Hundertschaft wollten ihr Gesicht jedenfalls nicht zeigen.

Der Gegensatz zwischen den friedlichen, freundlichen jungen Leuten und der martialischen Staatsmacht könnte größer nicht sein. Jetzt waren wir froh, dass wir unser Tatü-Kissen dabei hatten. Es kam dann aber doch nicht zum Einsatz, denn die Maskierten hatten noch keinen Befehl, ruppig zu sein. Ohne Befehl standen sie orientierungslos in der Gegend herum, und die Borg ließen uns passieren ohne Versuch uns zu assimilieren.

Wir haben uns bei den Besetzern wohl gefühlt. Das nächste mal sind wir wieder dabei.

Die Deutschen sind doof

Fast könnte man meinen, es gäbe etwas zu feiern. In den Medien und in Sonntagsredenveranstaltungen hört man derzeit viel über 20 Jahre Montagsdemonstrationen, „friedliche Revolution“ und Mauerfall. Die gewendeten Wendehälse dürfen mal wieder vor die Mikrofone und der Bundespräsident liest dazu vom Teleprompter. Wer 1989 tatsächlich für mehr Demokratie und einen besseren Sozialismus eintrat und die Kurve immer noch nicht gekriegt hat, gilt längst auch dem neuen Staat als gefährlicher Linksextremist. Auf der Gegenseite wurden „Informelle Mitarbeiter“ durch „Vertrauenspersonen“ abgelöst und viel Personal durch Technik ersetzt.

Hier, im tiefen Westen, wurden die Politiker-Versprechungen von damals wenigstens eingelöst. Wir haben blühende Landschaften bekommen: Wildkräuter gedeihen hervorragend auf den Industrie-Ruinen. Die Angleichung der Lebensumstände ist Realität: auf niedrigstem Niveau. Und keinem Reichen geht es heute schlechter, aber vielen besser.

Ein Leipziger auf Besuch behauptete kürzlich allen Ernstes, er bekomme in der Hafenstadt nostalgische Anwandlungen, denn früher habe es bei ihnen genau so ausgesehen. Vielleicht ist das ja eine künftige Einnahmequelle für die bankrotte Stadt: Touristenbusse aus dem Osten. Der Bus hält. Wohlstands-Ossis mit Fotoapparaten steigen aus. Die umstehenden Hafenstadtbewohner rufen im Chor: „Was hat man uns zwanzig Jahre lang belogen und betrogen!“

Durch Zufall stieß ich vor ein paar Tagen auf diesen 20 Jahre alten Flugzettel, ich habe ihn damals aufgehoben: „Die Deutschen sind doof! Deshalb: besser zweigeteilt!“ Ich erinnere mich, dass Duisburger Underground-Satiriker diese Zettel zur Zeit der Montagsdemonstrationen unter Scheibenwischer steckten, und es gab das Motiv auch als Plakat. Die Geschichte gab ihnen Recht.

Doch eine gute Satire wird nur von den Guten verstanden. Auf abenteuerlichen Wegen muss dann wohl Jahre später einer dieser Flugzettel auf dem Schreibtisch von Jürgen Elsässer gelandet sein, woraufhin – so sagt es jedenfalls die Legende – er beschloss, die „Antideutschen“ zu gründen. Und wie richtige Deutsche Linke so sind: sie machen aus jedem Witz gleich eine Weltanschauung. Jetzt haben wir den Schlamassel! Wenn man die Unterzeile weglässt, könnte man die Karikatur heute auch als Verspottung dieser „deutschesten aller Deutschen“ (Moshe Zuckermann) lesen.

Jürgen Elsässer hat seine Nase längst schon wieder in einem anderen Wind. Das heißt aber nicht, dass die Karikatur nicht auch auf ihn (und die – um im Jargon zu bleiben – von ihm zunehmend repräsentierten bestimmten Kräfte) zuträfe. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Beziehungsweise Blog-Eintrag.

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