Bei diesem Kunstwerk fällt zunächst einmal die ungewöhnliche Technik auf: sauberes Tuch auf abgasverschmutzter Kachel. Aufgenommen wurde das Foto im Juli 2010. Erstaunlich ist, dass das Bild trotz der fragilen Machart erhalten blieb und auch heute noch, Ende Januar 2012, im Koloniestraßen-Tunnel am Hauptbahnhof bewundert werden kann.
Dem Künstler gelingt es, beim Rezipienten Reflektionen über das Für und Wider des Einsatzes von Gewalt in politischen Auseinandersetzungen auszulösen, und er bedient sich dabei überaus gekonnt der Mittel der Abstraktion und der Sublimation. Wie in jedem echten Kunstwerk findet der aufmerksame Betrachter auch in diesem Werk Witz und Mehrdeutigkeit.
Wie anders ist sonst die unübersehbare Anspielung auf Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter zu deuten? In dem Kapitel Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug hantiert Paulinchen ganz ähnlich wie das Kapuzenwesen mit brennenden Zündhölzern und ignoriert die Warnungen der obrigkeitstreuen Katzen Minz und Maunz. – Ob unsere Geschichte am Ende gut oder böse ausgeht, lässt der Künstler ganz im Gegensatz zu Hoffmann offen. Über die künstlerische und pädagogische Qualität des Struwwelpeter lässt sich also trefflich streiten, über die des Wandbildes nicht.
Unverkennbare Bezugspunkte sind mittelalterliche Mariendarstellungen, die russische Matrjoschka-Tradition, sowie der mitteleuropäische Rumpelstilzchen-Mythos, aber auch aktuelle Kontroversen über abendländische Bekleidungsvorschriften. Die Arbeit reiht sich somit ein in die nicht zuletzt von Johann Wolfgang von Goethe begründete, ehrwürdige Tradition des künstlerischen Brückenschlags zwischen West und Ost, zwischen Abend- und Morgenland.
Die Stadt Duisburg muss das übersehen haben. Fast der ganze Koloniestraßen-Tunnel wurde kürzlich abgerissen, nur der Abschnitt mit dem Wandbild blieb unversehrt. Hätte sie den kulturellen Wert des Bildes erkannt, wäre es sicher umgekehrt.
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